Erdbeben Erfahrungsbericht von Jenna

Weniger als 48 Stunden bevor das verheerende Erdbeben das wundervolle Nepal traf, reiste ich von dort aus nach China ab. Kleine Schwierigkeiten mit meinem Visum hätten mich fast zu einer weiteren Woche in Nepal gezwungen. Man sagt, ich habe Glück gehabt. Doch ich fühlte mich nicht so. Noch immer bin ich mir nicht sicher, ob es schlimmer gewesen war, hilflos in China festzusitzen oder während dieser fürchterlichen Tragödie in Nepal zu sein. Nepal zwei Tage zuvor zu verlassen war sehr schlimm gewesen… Ich weinte, weil ich das Land nicht verlassen wollte. Ich fühlte, dass ich noch hätte bleiben müssen. Meine Liebe für Nepal und seine Menschen ist nichts, was ich leicht in Worte fassen kann. Ich fühle mich gesegnet dafür, fantastische nepalesische Freunde gefunden zu haben, die mich als Teil ihrer eigenen Familie ansehen. Diese Umstände erlaubten mir, ein Teil eines großen Ganzens zu sein, und nicht nur eine einfache Touristin. Die Arbeit, die wir tun, erfüllt mich. Wir können die Veränderungen, die wir bringen, sehen und fühlen. Nepal hat mich auf so vielen Ebenen verändert und bereichert. Der Gedanke daran, dass eine dieser wundervollen Personen Unheil widerfahren ist, ist unerträglich.

Ich werde niemals den Moment vergessen, als ich vom tödlichen Erdbeben in meinem geliebten Nepal erfuhr…
Am 25. April trat ich in einem Schockzustand aus dem Restaurant in Shanghai hinaus, in dem ich gerade mit meinen Freunden zu Abend aß. Ich wusste, dass ich sofort diese Anrufe habe tätigen müssen, während ich still betete, dass ich positive Nachrichten über den Verbleib und Zustand der Menschen bekomme, die mir so sehr ans Herz gewachsen sind.

Jenna und ihre nepalesische Freundin Mandira.

Jenna und ihre Freundin Mandira.

Als erstes rief ich meine Freundin Mandira an, die sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland befand. Sie nahm den Anruf sofort entgegen und der Ton in ihrer Stimme beunruhigte mich, da ich nun nicht mehr wusste, was mich erwartete. Mit großer Erleichterung erzählte sie mir dann aber, dass ihre Familie sicher und wohlauf sei. Auch das Haus, in dem ich lebte und viel Zeit verbrachte, widerstand dem Erdbeben. Wir beide brachen in Tränen aus und weinten vor Erleichterung, Angst und Hilflosigkeit. Es fühlte sich so an, als befände ich mich zwischen zwei Welten: Ich war nicht in Nepal, um mit meinen eigenen Augen zu sehen, dass es allen gut ging. Aber gleichzeitig war ich auch nicht in Deutschland, um meiner Freundin beizustehen. Hilflos und am Boden zerstört in Shanghai!

Jenna und Khai-Thai in Pokhara

Jenna und Khai-Thai in Pokhara

Minuten später beendete ich den Anruf und wählte eine zweite Nummer. Khai nahm ebenfalls sofort ab und erklärte mir – bevor ich etwas sagen konnte – dass er, die Vereinsmitglieder, Volontäre und unsere nepalesischen Freunde in Sicherheit seien. Erneut wollte ich weinen, doch ich kämpfte gegen die Tränen an, um für Khai stark zu sein. Ich legte mit großer Erleichterung aber auch mit Schmerz auf und weinte draußen vor diesem chinesischen Restaurant in Shanghai, was äußerst surreal wirkte.

Jenna und ihr guter Freund Eric.

Jenna und ihr guter Freund Eric

In den nächsten Minuten erhielt ich Nachrichten und sah Facebook-Einträge, die mir versicherten, dass meine Freunde sicher waren. Obwohl Mandira erklärt hatte, dass die Familie wohlauf sei, rief ich meinen lieben Freund Eric an. Ich musste seine Stimme hören, um zu glauben, dass es ihm wirklich gut gehe. Auch er antwortete sofort und berichtete mir, dass es allen gut ginge, was ich ja bereits wusste. Dennoch bedeutete es für mich unendlich viel, dies von ihm persönlich gehört zu haben. Und wieder fing ich an, vor Erleichterung zu weinen.

Diese Anrufe waren die schwersten Aufgaben, die ich jemals tun musste…!

Die nachfolgenden Tage vergingen in einem verschwommenen, surrealen Zustand, bei dem ständig die Nachrichten verfolgt und das Telefon minütlich kontrolliert wurden, um relevante Neuigkeiten über die aktuelle Lage vor Ort zu bekommen. Jeden Tag rief ich Mandira in Deutschland und Khai in Nepal an, die täglich mir bestätigten, dass es allen gut gehe. Ich versuchte sie so gut es geht aus der Ferne zu unterstützen und Trost zu spenden – ob ich erfolgreich war, weiß ich nicht. Bis zum heutigen Tag ist die Situation für mich nicht wirklich wahrnehmbar, weil ich viel zu weit war und es immer noch bin.

Zum Glück bekam ich tolle Unterstützung von meinen Freunden in Shanghai. Die Stärke und den Beistand, den ich Tag für Tag versuchte zu übermitteln, fand ich in ihnen. Die Angst jemand Liebgewonnen in einer Katastrophe wie dieser zu verlieren, war für mich neu und brach mir das Herz. Die große Distanz macht alles noch viel schwerer.

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